Berliner Straße

Sonntag, 9. März 2025, Berlin

Gegen 17 Uhr fahren Alexandra und ich vom Hansaplatz mit der U9 Richtung Steglitz. An der Station Berliner Straße gibt es eine Durchsage – alle müssen aussteigen, weil die U-Bahn nicht mehr weiterfahre. Stellwerkprobleme. Ein Herr im hellen Trenchcoat schaut sich ratlos um und spricht Alexandra und mich an. »Wie geht es denn jetzt weiter?« Unterm Arm trägt er die aktuelle Ausgabe der Literaturzeitschrift »Sinn und Form«. Alexandra wiederholt, was sie verstanden hat, er nickt und ich erkundige mich, ob er der Gesprächspartner in einem Interview in der Literaturzeitschrift sei. Er schaut mich überrascht an und bejaht die Frage. Ich erkläre, dass ich das Interview mit großer Freude gelesen habe und er darin ja erzähle, dass es ihm in Berlin oft passiere, dass ihn Leserinnen und Leser seiner Werke auf der Straße ansprechen … Diese Aussage wolle ich nun gern bestätigen und gebe mich als Bewunderer seiner Texte und Bücher zu erkennen. Uwe Timm lächelt beglückt. Er berichtet, dass er die Ausgabe gerade erst erhalten habe, bei einem Treffen mit einem Freund. Eine neue Durchsage ertönt: Die U-Bahn fährt doch noch eine Station weiter. Wir steigen wieder ein und plaudern vergnügt während der kurzen Fahrt. Am Bundesplatz müssen dann alle Fahrgäste die U-Bahn verlassen und am Bahnsteig tippe ich meinen Namen und meine E-Mail-Adresse in Uwe Timms Handy. Anschließend verabschieden wir uns voneinander. Uwe Timm ist am Ziel und Alexandra und ich setzen unsere Reise mit dem Bus fort.

Midlife-Prosa

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Selten erstehe ich Bücher wegen ihres Klappentextes, doch bei »Midlife-Prosa« von Mara Genschel habe ich eine Ausnahme gemacht. Zum Glück, denn die neun performativen Erzählungen in dem Band sind genauso anmutig und entzückend wie die Zeilen auf der Umschlagrückseite: »Ein richtig schöner Text in einem wirklich schönen Buch. Mit einem richtig schönen Titel. Ohne Nazis und in einer ihr enges Deutschsein geschickt verschleiernden Herrenhose aus der Fußgängerzone. Ich bin diese Zukunft. Und ich handele endlich wieder von der Liebe.« 

Selfies ohne Selbst (XXII)

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Kulturgut Haus Nottbeck, Oelde

Mitunter verwandelt sich das Schreiben in eine edle, fast fromme Tätigkeit. Um 20 Uhr 30 ging ich hinunter ins geschlossene Café, schaltete die Lichter an, setzte mich an einen der Tische, öffnete eine Flasche Paderborner Pilsener, schenkte mir ein Glas ein und begann, Tagebuch zu schreiben. Ich war allein in einem alten Rittergut, das mittlerweile ein Literaturmuseum beherbergt, und fühlte mich versetzt in den Speisesaal eines Klosters.

Der Schrankmann

Das ist die Geschichte von Kristian Vandet Jørgensen, eine auf wahren Begebenheiten beruhende Erzählung, die 1914 in Jütland ihren Anfang nimmt und bis in die Gegenwart reicht. Eine Geschichte über Isolation, Inspiration, Treue, Kunst und Krieg; über Nachbarschaft, Downsizing, Tiny Houses und die Liebe eines Mannes zu seinem Schrank.

für Felix Kubin

1914 kommt der Molkereiarbeiter Kristian Vandet Jørgensen im Alter von siebzehn Jahren mit einer Schubkarre, auf der er einen Kleiderschrank transportiert, aus dem Norden des Landes an den Oddesund und lädt das Möbel am Strand von Skibdal ab. Die nächsten drei Jahre lebt Jørgensen in dem Schrank, der ungefähr einen Meter achtzig hoch, fünfundneunzig Zentimeter breit und fünfzig Zentimeter tief ist. Hochkant gestellt kann Jørgensen in dem Schrank stehen, sitzen und kochen. Nachts, wenn er schlafen will, legt er den Schrank auf den Boden, kriecht hinein, streckt die Beine aus, klappt die Tür zu und verriegelt den Schrank von innen mit einem Haken. Aus nächster Nähe erlebt Jørgensen so den Dampfschiffbetrieb mit und sieht die Fähren zwischen Oddesund Nord und Oddesund Süd hin und her fahren. 1917 zieht er mit seinem Schrank weiter an den Strand von Vesterfjord. Seine Toilette ist ein Bach in einem Kiefernwald und sein Badezimmer die Nissum Bredning…

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