Agaete (I LOVE URLAUB)
Mittwoch, 25. Oktober, Hamburg/Agaete
Um kurz nach fünf wachgeworden. Um halb sechs Kaffee und kurzes Lesen im Bett, danach aufstehen, packen und um sieben Uhr mit dem Taxi zum Flughafen. Das Kofferabgeben und Einchecken geht sehr schnell. Um halb neun sitzen wir behaglich gegenüber unseres Abfluggates und warten auf den Abflug um halb zehn. Gemütlicher Flug nach Frankfurt, dann langer Marsch durch den Flughafen zum Gate B2. Um Viertel nach elf dort. Unser Flug ist überbucht und es werden zwei Passagiere gesucht, die auf ihren Flug verzichten und stattdessen später an diesem Tag oder morgen fliegen möchten. Alexandra erkundigt sich nach den Konditionen. Es werden vierhundert Euro pro Sitz geboten. Wir würden das Geld annehmen, wenn wir die Garantie hätten, heute noch wegzukommen. Diese gibt es aber nicht, insofern verzichten wir auf die Offerte und gehen stattdessen an Bord. Sehr guter Flug. Obwohl der Flug überbucht war, hatten wir als einzige Passagiere sogar einen freien Platz in unserer Dreier-Reihe und konnten uns deshalb richtig ausbreiten.
Um kurz vor sechzehn Uhr Landung. Dann zum Mietwagenschalter, vor dem sich eine lange Warteschlange gebildet hat. Um kurz vor siebzehn Uhr bekommen wir unseren Wagen zugewiesen, gehen ins Parkhaus und erhalten die Schlüssel für einen Hyundai i10. Einladen und los. Wir fahren im dichten Feierabendverkehr nach Agaete, das etwa fünfundfünfzig Minuten entfernt ist, und verlassen zehn Minuten vor dem Ziel die Autobahn und steuern einen großen Hiperdino an, wo wir uns mit ersten Vorräten eindecken. Außerdem kaufen wir einen Salat und ein Sushi-Gedeck, welches wir an einem von zwei Tischen hinter der Kasse neben dem Kaffeeautomaten mit einer Flasche Cola Light verspeisen. Danach Weiterfahrt nach Agaete. Die Straßen werden eng, kurvig und hügelig. Die Einfahrt unseres Ferienapartments liegt am Ende einer Rampe in einer Sackgasse und bietet einen abenteuerlich schmalen Parkplatz. Der ächzende Hyundai schafft es nicht ganz über die letzte Schwelle. Ich stelle den Motor ab, steige aus und bin nicht zufrieden mit der Parkposition, weil das Heck bis zum Straßenrand reicht. Also steige ich wieder ein und versuche, den Motor zu starten, was mir aber nicht gelingt. Immer wieder versuche ich es, fahre dabei aber nicht nach vorn, sondern rolle immer weiter zurück. Die Anzeige auf Spanisch deutet auf Batterieprobleme hin. Ich bin wütend und müde.
Alexandra und ich tragen die Koffer ins Apartment, dann unternehmen wir einen letzten Versuch. Alexandra schlägt vor, dass sie sich ans Steuer setzt, den Wagen in die Neutral-Position bewegt und ich dann versuche, das Auto die Einfahrt hochzuschieben – in Kreisau hatte sie damals gelernt, dass man Automatikautos, die im Schnee stecken geblieben sind, so anschieben kann. Wir probieren es aus und tatsächlich rollt der Hyundai mit seinem Tonnengewicht auf mich zu. Ich bekomme Angst und stemme mich mit aller Kraft dagegen und schaffe es, ihn trotz des Gefälles allein in die andere Richtung zu bewegen, doch es gelingt mir nicht, ihn über die Schwelle zu hieven. Auch nicht im zweiten und dritten Anlauf. Ich sage zu Alexandra, dass sie versuchen soll, bei meinem nächsten und letzten Anlauf, den Motor zu starten. Tatsächlich gelingt es, der Motor springt an und Alexandra fährt den Wagen über die Schwelle knapp zwei Meter in die Einfahrt und stellt ihn sicher ab. Wir sind erleichtert, doch die Batterieprobleme sind immer noch vorhanden.
Auspacken in der Wohnung. Bier auf der Terrasse und Telefonat mit Frank, der uns nicht weiterhelfen kann, aber darin bestärkt, von der Mietwagenagentur ein neues Leihauto anzufordern. Alexandra ruft an und spricht mit der Mitarbeiterin, die sagt, dass wir morgen um neun Uhr einen neuen Wagen bekommen … Prima. Alexandra packt weiter aus, während ich auf dem Balkon mit drei Tropical-Riesenbieren (0,75) Tagebuch schreibe. Der Stress legt sich. Ein neues Konzept Urlaub. Nicht mittendrin, aber auch nicht abseits. Klarer Himmel. Warm. Mit kühlem Wind, Blick aufs Meer und auf die beleuchteten weißen Häuser unter uns. Ein sehr grünes Tal mit Palmen und Kakteen. Windrascheln. Hundekläffen. Vereinzelte Gespräche, dafür kaum Autoverkehr. Links von uns erhebt sich eine imposante Bergkette. Sterne. Ein überraschender Katzenbesuch. Sie rennt über die Dächer und wandelt anmutig auf der Balustrade. In kurzen Hosen auf dem Balkon sitzen – mit diesem majestätischen Ausblick. Und nachdem ich vor zwei bis drei Stunden noch ganz skeptisch war, möchte ich in diesem Moment das Apartment sogleich kaufen. Um kurz nach zweiundzwanzig Uhr, dreiundzwanzig Uhr deutscher Zeit, beende ich meine Tagebuchschreibsession und gehe ins Apartment. Um kurz vor elf Schlaf.

Donnerstag, 26. Oktober, Agaete
Bis kurz vor acht eigentlich gut geschlafen, allerdings die Hälfte der Zeit mit Ohrstöpseln, da wir durch das offene Fenster, das sich direkt neben dem der Nachbarn befindet, ein lautes Schnarchen gehört haben. Ab halb fünf schallen zudem aus dem Tal das Krähen der Hähne und später auch das Bellen der Hunde zu uns nach oben. Kaffee auf der Terrasse und um neun Uhr Frühstück. Die beiden Bergketten, die uns umgeben, sind wirklich majestätisch und ich fühle mich wie in einem Western und stelle mir vor, wie plötzlich Apachen am Bergkamm erscheinen. Alexandra ruft gegen halb zehn noch einmal in der Mietwagenagentur an, da noch nicht das für 9 Uhr angekündigte Ersatzauto geliefert wurde. Um Viertel vor zehn kommt der Mechaniker, entschuldigt sich für sein Zuspätkommen und gibt uns die Schlüssel für einen neuen Hyundai i10. Die Berggipfel sind von Wolken verhangen. Nachdem der Mechaniker gegangen ist, möchte ich das Auto umparken – setze mich in die Karre, aber schon wieder startet der Wagen nicht, sondern zeigt ein Batterieproblem an … What the fuck! Weiterer Anruf bei Top Car. Der Mechaniker kommt um Viertel vor elf erneut und löst das Problem innerhalb von Sekunden: Man muss das Auto im N-Gang starten. Ich war der Depp. Peinlich. Um kurz nach elf laufen wir die Treppe zur Straße hinab. Wir kommen nicht weit, da es nicht viel zu sehen gibt und die Bürgersteige verschwinden. Um elf Uhr dreißig zurück im Apartment. Mit dem Auto nach Agaete. Wir parken neben dem Botanischen Garten und laufen durch die Altstadt. Dann mit Hunger zum Hafen von Puerto de las Nieves. Wir parken das Auto und gehen Richtung Hafen. Gegen sechzehn Uhr wieder am Haus. Abends Tagebuchschreiben auf der Terrasse in Schlafanzughose und Unterhemd. Links und rechts sind wir von pechschwarzen gezackten Berghängen umgeben, die sich gegen den wolkengrauen Nachthimmel abzeichnen. Unter uns schimmern die sternenartigen Lichter der weißen Häuser von Valle de Agaete und am Horizont glitzert Teneriffa.

Freitag, 27. Oktober, Agaete
Bis halb acht geschlafen. Draußen starker Regen. Ich mache Kaffee und überspiele Dateien. Angesichts des Wetters und leichten Regens etwas unsicher, ob wir wandern oder schnorcheln sollen. Um Viertel nach zehn fahren wir los auf der Serpentinenstraße in die andere Richtung zur Casa Romantica, dem Michelin-Restaurant, wo man ein 8-Gänge-Menü für siebzig Euro plus fünfundvierzig Euro Weinbegleitung bekommen kann. Wir halten vor dem Restaurant, das idyllisch an einer Kehre im Tal liegt. Die Terrasse ist klein und grün, der Speisesaal hingegen erinnert an eine traurige Kantine. Weiter bis zur Busendhaltestelle, wo sich eine Reha-Klinik befindet. Es regnet, trotzdem entschließen wir uns, nach Sardina del Norte zu fahren. Als wir ankommen, ächzen wir unter der glühenden Sonne. Wir kaufen zwei Bocadillos im Lebensmittelladen, die angesichts der Warteschlange hinter uns in aufreizender Langsamkeit halbiert, mit zwei frisch gehobelten Käsescheiben und vier Scheiben Kochschinken belegt, in Klarsichtfolie eingewickelt und in eine Tüte gepackt werden. Der Strand ist fast leer und zur Hälfte mit Wasser überspült. Es ist erstaunlich warm, viel wärmer als letztes Jahr im August. Wir schnorcheln auf unseren altbekannten Pfaden und sehen unzählige Fische. Hinterher ins Fischrestaurant Terraza el Ancla, wo wir gegrillten Fisch, Tintenfischringe und Ropa vieja (Alte Kleidung) mit Oktopus essen. Danach mit dem Auto nach Hause auf kurvenreicher, Schweiß treibender Strecke – und das alles in Badeschlappen.
Zuhause lesen und Schlaf. Schöne Einladung von Kati zu einem Treffen am 31. Oktober: »Wir kochen zusammen Suppe und später Bitches‘ Brew, und dann spielen wir Musik. Mitbringen: Einen Feuer-Song. Etwas zum Verbrennen.«
Ich schreibe den fehlenden Teil meiner Casa di Goethe-Bewerbung. Abendbrot mit Bier auf dem Balkon. Hinterher Tagebuch, bis wir von Mücken verjagt werden. MAKONDO Y MANGOS steht in Schreibschrift auf dem Eingangsportal zu unserem Apartment. Im Internet findet Alexandra dazu einen Lexikoneintrag: »Der Begriff ›Macondo‹ stammt aus dem Buch ›Hundert Jahre Einsamkeit‹ von Gabriel Garcia Marquez. ›Macondo‹ ist hier über Generationen der Schauplatz drastischer und geheimnisvoller Ereignisse im Leben der Familie Buendia. Von der Familie irgendwo im Urwald gegründet, wo keine Straße hinführt, ist ›Macondo‹ ebenso typisch karibisch wie einzigartig. Es ist ein Ort voller Phantasie, tropischer Fülle und seltsamer Geschehnisse, wo Absurdes und Verrücktes blühen und Komisches neben Trauer und Elend steht.« (demokratiezentrum.org)

Samstag, 28. Oktober, Agaete
Bis 7 Uhr 20 geschlafen. Kaffee, lesen und Müslifrühstück, anschließend mache ich die Bewerbung für die Casa di Goethe fertig. Kurze Korrespondenz mit Norbert Wehr und zweites Frühstück. Um Viertel nach zehn verschicke ich meine Bewerbung. Fahrt nach El Agujero. Schöner Sandstrand, super wellig. Wir laufen durch die Favela-artige Strandsiedlung. Steile schmale Treppen zwischen den Häusern. Danach legen wir unsere Badelatschen und unser Handtuch am Strand ab und eilen barfuß in der Brandung. Sie ist stürmisch und unberechenbar. Die erste Brandungswelle, die uns entgegenkommt, ist heftig und wird immer länger. Alexandra rennt zu unseren Badelatschen und unserem Handtuch zurück und bringt sie in Sicherheit, kurz bevor sie von der Welle verschluckt werden. Ich habe den Autoschlüssel in der Brusttasche und gehe fast mit Sonnenbrille, Kappe und Schlüssel unter. Danach Fahrt nach Sardina del Norte mit Schlappen und nasser Hose. Auch dort krasse Wellen am Strand, wir gehen trotzdem rein. Ich filme. Schnelles Abtreiben, Alexandra prellt sich ihr Knie und eilt aus dem Wasser. Ich filme noch eine Weile. Danach entspanntes Sitzen im Schatten, mit Bocadillo und Go Pro-Experimenten. Nach längerer Pause und Starren auf die Wellen zurück zum Auto und Einkauf bei Hiperdino. Anschließend mit dem Auto zurück nach Agaete. Bevor wir auf die Serpentinenstraße einbiegen, sehen wir vor uns auf der Fahrbahn einen Kampf zwischen einer Katze und einen Greifvogel, die sich um eine Maus streiten. Die Katze gewinnt und rennt triumphierend mit der Maus im Maul davon. Um 16 Uhr 20 wieder im Apartment. Eine Stunde Schlaf, dann Kaffee und Knausgård lesen im Liegestuhl auf der Terrasse – es gibt kaum etwas Erholsameres. Die Zeit dehnt sich im Urlaub viel mehr, alles ist intensiver, besonders das Tagebuchschreiben. Um 18 Uhr 20 fangen Alexandra und ich an zu kochen. Zubereitung des Peterfisches, den wir bei Hiperdino gekauft haben, mit Papas Arrugadas, Mojo und Salat. Romantischer Sonnenuntergang mit Blick auf den Teide auf Teneriffa. Danach mit Wein Fotos gucken und auswählen. Zum ersten Mal benutze ich die Snapshot-Funktion von VLC, was mir ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Hinterher weintrunken eine Folge Mathe-Welten und eine bizarre Doku über Kopffüßer. Um 22 Uhr 20 ins Bett und Schlaf.

Sonntag, 29. Oktober, Agaete
Bis 7 Uhr 15 geschlafen. Ich schalte die Kaffeemaschine ein und kehre ins Bett zurück. Nach einer Viertelstunde stehen wir auf, legen uns auf die Couch, trinken Kaffee und lesen im Internet. Erst jetzt fällt mir auf, dass es eine Zeitumstellung in der Nacht gab und wir eine Stunde geschenkt bekamen, weshalb es jetzt auch schon so hell ist. Frühstück auf dem Balkon, danach schreibe ich eine lange E-Mail an David. Zum Mittagessen Nudeln und Salat. Anschließend ins Bett, lesen und Schlaf. Hinterher Kaffee und weiterlesen. Um 15 Uhr 20 entschließen wir uns, nach Galdar zu fahren. Google führt uns durch die halbe Stadt, hoch und runter, auf engsten Pfaden, durch kaum erschlossenes Terrain – eine Herausforderung für uns und den Hyundai i10. Am Ende parken wir auf einer freien Brache im Niemandsland. Dann in die Innenstadt und schöner Spaziergang durch Gáldar. Wir besuchen kurz das Museum von Antonio Padrón, danach werden wir von den lebensfrohen Klängen der durch das Stadtzentrum ziehenden Vitamina Band angelockt, einer zehnköpfigen Kapelle mit Bläsern, Trommeln und Becken in schwarzen Hosen und grünen Hemden. Wir folgen der Band, die uns zur Dulceria Castellano führt, einem gut besuchten Eis- und Süßigkeitencafé, wo wir zwei Cortado leche y leche trinken, Alexandra ein Stück Apfelkuchen isst und ich einen Eisbecher vertilge. Danach schlendern wir weiter durch die Stadt, schauen uns das Hotel Algardar an und begutachten die schicke Sky Bar. Um 18 Uhr 15 zurück im Apartment. Um 18 Uhr 20 Tagebuch und Tropical auf der Terrasse. Frank hat mir einen Code für BlueSky geschickt, den ich nutze, um mich dort anzumelden. Zum Abendbrot The Surfrajettes, die restlichen Kartoffeln mit Mojo und als süßen Abschluss ein Nutella-Toast. Duschen und ab kurz nach acht fernsehen. Eine Mathewelten-Folge und dann den Rest der Kopffüßer-Doku. Um kurz nach neun ins Bett, lesen und Schlaf. I LOVE URLAUB.

Montag, 30. Oktober, Agaete
Bis 6 Uhr 45 geschlafen. Früher Kaffee auf der Terrasse mit Wahnsinnsblick auf den vollen Mond über dem Teide und dem Meer am blauviolettrosafarbenen Himmel. Aussteigerfantasien und Zukunftspläneschmieden mit Alexandra beim Kaffeetrinken. Frühstück und um zehn Uhr mit dem Auto nach Artenara, einer Gemeinde, die 1.270 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Wir erreichen Guía und fahren die kurvenreichen Rampen nach Artenara hoch und haben dabei das Gefühl, fast senkrecht in der Luft zu stehen. Der Hyundai i10 röhrt aus Leibeskräften. Umkehr nach wenigen Kilometern und stattdessen Spaziergang durch die Altstadt von Guía. Der Ort ist schön, gut erhalten und extrem hügelig. Wir laufen auf dem ausgeschilderten historischen Weg von der Ober- in die Unterstadt. Schon wieder hören wir eine Blaskapelle und folgen den Tönen wie Nager den Flötenmelodien des Rattenfängers von Hameln. Die Klänge führen uns zur Kathedrale zu einem Kinderfest mit Stelzentänzern und überlebensgroßen Pappmachéfiguren, deren Arme im Takt der Musik wild herumflattern. Es dauert lange, bis wir uns an den Bildern satt gesehen haben, dann besichtigen wir die Kathedrale und essen anschließend in einer Bäckerei wahnsinnig süße und klebrige Schokoladenteilchen. Zurück zum Auto. Fahrt zum Mercadona-Supermarkt, Einkauf, und um 13 Uhr 15 wieder in Agaete. Lesen und Schlaf, hinterher Tee und Bocadillo auf dem Balkon.
Gegen 19 Uhr, als es schon dunkel ist, machen wir uns zu Fuß auf den Weg zur knapp anderthalb Kilometer entfernten Bar La Palma in Vecindad de Enfrente auf kaum beleuchteten Straßen ohne Bürgersteige. Überraschend viel Automobile kommen uns dabei entgegen oder überholen uns im rasenden Tempo. Als wir leicht genervt und hungrig an dem im Internet empfohlenen Restaurant ankommen, stellen wir fest, dass Google Maps uns belogen hat und das Lokal heute geschlossen ist. Also laufen wir weiter in den Kern des Örtchens zum für seine einfache, aber ehrliche Küche gelobten Lokal im Gemeindezentrum. Google Maps lotst uns zu einem zweckmäßigen, mehrstöckigen Betonbau, unser Hunger ist inzwischen gigantisch. Das Restaurant befindet sich im Untergeschoss. Es ist ein Raum mit mosaikgesprenkelten Bodenfliesen, grüngestrichenen Wänden und sparsam aufgehängten Fähnchengirlanden. Um einen Holztisch herum sitzen vier Männer und spielen um Muschelschalen Karten. Der Monitor unter der Decke zeigt ein Champions-League-Fußballspiel der vergangenen Woche. Der Ort ist eine Mischung aus unterirdischer Schulaula und Waschküche.
Wir machen augenblicklich kehrt, laufen die Treppen wieder hoch und suchen in dem stockfinsteren Örtchen nach weiteren Einkehrmöglichkeiten. Es gibt keine. Also kehren wir reumütig und zerknirscht nach zwanzig Minuten in das Gemeindezentrum zurück und setzen uns an einen der vier freien Holztische neben die Kartenspieler. Der verschwitzte Koch humpelt zu uns und händigt die Karte aus. Es gibt Pollo, Käse und Kroketten. Wir bestellen alle drei Gerichte, um sie miteinander zu teilen. Ein junger Mann tänzelt die Treppe hinab, steuert zielstrebig den Zigarettenautomaten neben den Toiletten an, zieht eine Schachtel aus dem Gerät und verschwindet wieder. Der Koch kommt und stellt einen Korb mit alten, ausgetrockneten, zwiebackartigen Brotresten auf den Tisch. Ich greife beherzt zu, weil ich so ausgehungert bin. Ein junge Frau steigt fröhlich die Treppe hinab, zieht am Automaten zwei Zigarettenschachteln und geht wieder nach oben. Der geschnittene Käse wird serviert. Er sieht sehr gut aus, schmeckt allerdings stark nach Schimmel. Dann bekommen wir einen Teller mit vielen Pommes gereicht. Sie sind nicht durch, dafür aber megafettig. Dazu gibt es Kroketten, die mit einer weißen Masse gefüllt sind. Hühnchen? Egal, das Innere ist jedenfalls recht schmackhaft. Der dritte Gang besteht aus einem riesigen Berg Pommes, die noch weniger durch sind als der erste Haufen, dazu fünf frittierte, knorpelige Hühnerbeinchen. Die Location ist wirklich nicht empfehlenswert, dabei hat es auf Google mit 4,5 von 5 fast ebensoviele Punkte wie der mit 4,6 von 5 bewertete Witwenball auf der Hamburger Weidenallee in Hamburg, ein wahrer Tempel der Genüsse. Um 20 Uhr 43 zurück im Apartment. Immerhin haben wir das Essen überlebt und sind auf dem Rückweg nicht angefahren worden. Ameisenattacke auf die Kaffeemaschine. Um 21 Uhr 15 Zähneputzen, lesen und Schlaf.

Dienstag, 31. Oktober, Agaete
Bis Viertel vor acht geschlafen. Kaffee auf der Terrasse und E-Mail an meinen Verleger in Berlin. Müslifrühstück auf der Terrasse, dabei Entschluss, nach Las Palmas zu fahren. Mein Verleger antwortet und schlägt ein Treffen in zehn Tagen im Café Trainspot vor. Ich sage sogleich zu. Um 10 Uhr 45 verlassen wir das Apartment und fahren nach Las Palmas. Wir parken auf einem Parkplatz hinter dem Einkaufszentrum am Auditorio Alfredo Kraus. Wikipedia: »Kraus war einer der wenigen Tenöre, die das hohe D im bekannten Duett ›Vieni fra queste braccia‹ aus Bellinis Oper ›I puritani‹ erreichten und das Werk daher in Originaltonlage singen konnten. Als Tenore di grazia gilt er neben Tito Schipa als unerreicht.«
Spaziergang auf der langen Strandpromenade. Die Wellen sind irre hoch und haben große Teile des Sands abgetragen. Wir laufen bis zum Ende des Strandes und kommen an dem Haus vorbei, in dem wir uns einst ausmalten, später gemeinsam unseren Lebensabend zu verbringen. In einer Wohnung im ersten oder zweiten Stock mit Blick auf das Meer und die aus dem Meer ragenden Vulkanfelsen, gegenüber der weißen Mauer mit der blauen Tür und der Kachelinschrift CHANO EL PELIGROSO. Chano, der Gefährliche. Die Lage der Wohnung gefällt uns immer noch. Wir essen eine Pizza in dem Restaurant an der Promenade und laufen anschließend satt und zufrieden zurück zum Parkplatz. Heimfahrt und um 16 Uhr 45 am Haus. Unser Auto tropft. Warum? Wir stellen eine Tasse darunter. Zum Glück ist es nur Wasser. Kühlwasserverlust? Nach ein paar Minuten lässt das Tropfen nach. Wir öffnen die Motorhaube und entdecken, dass noch ausreichend Kühlwasser im Behälter ist. Womöglich ist es ja ganz normal, dass der Motor nach so einer Belastung in der Hitze bei dem Anstieg ein wenig Kühlwasser verliert? Ich bin einigermaßen beruhigt. Gemütliches Abhängen im Apartment. Im Internet lese ich später, dass das Tropfen wohl üblich ist und durch das Benutzen der Klimaanlage entsteht.

Mittwoch, 1. November, Agaete
Um 7 Uhr 48 Wecker. Kaffee, lesen, Computerkram und Tagebuch. Mini-Stretching und Müslifrühstück auf dem Balkon. Hinterher Kopiervorgänge, die nicht zu Ende geführt werden können. Abbruch und Dateilöschung. Um kurz vor elf verlassen wir das Apartment. Vor uns vor den Mülltonnen kreuzen zwei braune, habichtartige Greifvögel und bleiben direkt auf dem Zaun neben unserem Auto sitzen. Ich halte mitten auf der Fahrbahn und mache ein schlechtes Handyfoto aus dem Fenster. Erst als wir von einem anderen Auto überholt werden, realisiere ich, dass ich mitten auf der Straße stehe. Weiterfahrt nach Agaete und Parken am Rand der Stadt. Wir laufen zur Plaza de la Constitución und Schlendern über den kleinen, extrem belebten Markt. Dort werden heimische Produkte angeboten, z.B. Kaffee aus dem Agaete-Tal für 25 Euro pro 250 Gramm … Wahrscheinlich sind das echte Fairtrade-Preise, und nicht die 6 oder 7 Euro pro Pfund, die ich beim Discounter in Deutschland zahle.
Nach dem Rundgang bevorraten wir uns in einem Café mit Bocadillos, danach zurück zum Auto und Kauf von zweimal sechs 1,5-Liter Flaschen Wasser in einem stark frequentierten Mini-Supermarkt. Fahrt nach Sardina del Norte über die Bananenboss-Route. Wir nennen sie so, weil sie durch eine Plantage mit schnurgeraden, endlos engen Straßen, roten Mäuerchen und rechteckigen Kurven führt und uns jedes entgegenkommende oder verfolgende Fahrzeug an den mörderischen Tanklastzug in Steven Spielbergs Horrorthriller »Duell« erinnert. In Sardina ergattern wir einen Superparkplatz. Ausladen und Schnorcheln im welligen Meer. Trotz der trüben Sicht sehen wir viel: Schwärme von Fischen und viele Krabben. Beim Tauchen entdecke ich am Meeresboden auch einen großen, siebenarmigen Seestern, wahrscheinlich ein Dornenseestern (Coscinasterias tenuispina): »Die Anzahl der Arme variiert zwischen 6 und 12. Er erreicht bis zu 50 cm Durchmesser. Coscinasterias tenuispina ernährt sich von Schnecken, Schwämmen, Stachelhäutern, Krebstieren und Muscheln. Er kann sich ungeschlechtlich fortpflanzen. Der Körper teilt sich in zwei Hälften, an denen jeweils neue Arme wachsen. Auch wenn ein ausreichendes Stück Arm abgetrennt wird, kann sich daraus ein neuer Seestern bilden.« (Quelle: tauchen-auf-den-kanaren.de)
Beim Rausgehen aus dem Wasser trage ich Alexandras und meine Schwimmflossen, die GoPro und meine Taucherbrille, um sie am Ufer abzulegen und schnell wieder ins Meer zu springen. Kurz bevor ich den Strand erreiche, werde ich von einer Welle umgerissen. Ich verliere alles bis auf die GoPro und eine rote und eine blaue Schwimmflosse. Panisch drücke ich Alexandra die Sachen in die Hand, kehre zurück in die Fluten und begebe mich auf die Suche. Tatsächlich finde ich nach einiger Zeit auch die von der Strömung weit rausgespülten Schwimmflossen und kehre mit ihnen erleichtert zum Strand zurück. Ich lege die Flossen neben unser Handtuch, dann gehen Alexandra und ich noch einmal ins Meer und planschen in den Wellen. Nach ein paar Minuten entdecke ich auf dem Meeresboden eine rote Taucherbrille und einen Schnorchel … Es sind meine! Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich sie vorhin verloren hatte, greife nach ihnen und schnappe sie mir. Nach dem Baden zur Terraza del Ancla. Sehr gutes Mittagessen im vollen Restaurant, trotzdem bekommen wir unseren Lieblingsplatz am Fenster, während die kurz nach uns ankommenden Gäste alle warten müssen. Ich esse gegrillten Fisch, spitze, und Alexandra riesige, grätenfreie Fischfilets, die nicht weniger spitze sind. Danach zwei Cortado leche y leche. Zurück zum Auto und Heimfahrt auf der Bananenboss-Strecke. Um 16 Uhr im Apartment. Auspacken, lesen und Schlaf. Hinterher Tee und Schreiben auf dem Balkon. E-Mails an Freunde und Verwandte plus Tagebuch. Zum Abendessen Röstbrot mit Tomatensalat und Tortiglioni Napoli. Dazu Bier. Um 20 Uhr 20 fernsehen. Eine Folge Mathewelten und dann das Marvel-Special »Werewolf by night«. Anschließend ins Bett, Knausgård lesen und um kurz nach zehn Schlaf.

Donnerstag, 2. November, Agaete
Bis 7 Uhr 15 geschlafen. Kaffee, lesen und Tagebuch auf der Terrasse. Danach spülen, anziehen und eincremen. Um 10 Uhr 20 verlassen wir das Apartment. Fahrt nach Moya, das 490 Meter über dem Meeresspiegel gelegen ist. Steile, trotzdem recht stressfreie Anfahrt, wobei wir überrascht sind, wie viele Autos uns auf der schmalen Straße entgegenkommen. Halt über dem Busbahnhof am Friedhof, auf dem viele Menschen wegen Allerseelen versammelt sind. Vor dem Eingang werden für die Besucher Kuchen und anscheinend heiße Schokoladen verteilt. Moya nennt sich »die grüne Stadt«, und wir schauen von einer Mauer in die Moya-Schlucht (Baranco de Moya), die 190 Meter tief und noch viel grüner als das ohnehin schon üppig grüne Agaete-Tal ist. Der Ausblick ist atemberaubend. Wir sehen das Meer und die direkt über der Schlucht thronende Kirche. Zudem erspähen wir am Ende des Tals eine archäologische Sehenswürdigkeit, die wir uns nachher gern anschauen möchten: Cenobio de Valerón, ein kollektiv genutzter Getreidespeicher, den die Altkanarier laut Wikipedia bis zur spanischen Eroberung im 15. Jahrhundert nutzten.
Kurzer Spaziergang über den Friedhof, bei dem uns mehrere Monarchfalter auffallen, die durch die Lüfte flattern und sich auf die Blumen setzen: »Der Amerikanische Monarch kommt auf den Kanaren in Teneriffa, Gran Canaria, La Palma, La Gomera, El Hierro und Fuerteventura vor und ist das ganze Jahr über zu finden. Danaus plexippus wanderte 1880 aus Nordamerika in die Kanaren ein und blieb hier.« (Quelle: http://www.schmetterlingeinwildauundberlin.de). Wäre ich ein Schmetterling, würde ich auch lieber auf den Kanaren residieren, anstatt Jahr für Jahr von Kanada nach Mexiko zu fliegen, um dort zu überwintern – egal wie »cheesy« mein amerikanischer Freund Val das auch finden würde.
Hinterher ins Casa di Cultura, das Kulturzentrum des Ortes, wo wir von einer großartigen Barbiepuppen-Ausstellung überrascht werden: »EXPOSICIÓN DE MUÑECAS DE COLECCION – BARBIEMANIA: DE MUÑECA A ICONO POP.«. Wir haben Glück, da die Ausstellung mit fast 200 Puppen aus der Privatsammlung des Sammlers José Luis Montesdeoca insgesamt nur knapp einen Monat hier gastiert und nur noch vier Tage lang zu sehen ist. Das Kulturzentrum mit den Neonlampen und Kassettendecken, den weißgetünchten Säulen und spiegelnden Bodenfließen wirkt äußerst steril, doch die übereinander in den Schaukästen ausgestellten Barbies in ihren Originalkartons begeistern uns. Ich mache Fotos von der rothaarigen Barbie-Puppe in Netz-Stay-Ups und von ihrer schwarzhaarigen Freundin mit Bienenstockfrisur und schwarzen Strapsstrümpfen. Anschließend fotografiere ich die Frida-Kahlo-Barbie mit ihren krankhaften Zahnstocher-Armen, die hochnäsige Andy-Warhol-Barbie in weißen Boots, Campbell’s-Tomato-Soup-T-Shirt und Animal-Print-Mantel und die unheimliche Queen Elizabeth II-Barbie mit dem teuflischen Gesichtsausdruck.
Es gibt auch zwei Barbie-Puppen aus der Dynasty-Reihe. Als Kind war ich ein Fan der »Denver Clan«-Dramaserie, da die Folgen mittwochabends im ZDF zwischen 21 Uhr und 21 Uhr 45 ausgestrahlt wurden, während die Folgen der »Dallas«-Konkurrenz in der ARD dienstags erst zwischen 21 Uhr 45 und 22 Uhr 30 liefen. Da ich von meinen Eltern aber stets mittendrin um 22 Uhr ins Bett geschickt wurde, wenn ich am anderen Tag Schule hatte, was meistens der Fall war, wurde ich nie richtig warm mit der CBS-Serie, sondern schenkte mein Herz dem Ableger von ABC.
Der Verpackungskarton der Krystle-Carrington-Barbie zitiert einen Satz aus dem legendären Catfight mit Alexis Carrington aus der zweiten Dynasty-Staffel: »If you want a rematch just whistle! if you can!« Farhad Z, der die Szene auf Youtube hochgeladen hat, bezeichnet die Minuten, indem Krystle (Linda Evans) bewusst wird, dass Alexis (Joan Collins) die Verursacherin ihrer Fehlgeburt war und sie anschließend zur Rede stellt, als den ikonischsten Moment der Serie.
Zum Schluss entdeckt Alexandra in einer Vitrine auch noch die Barbie, die sie als Kind selbst besessen hatte. Peaches N‘ Cream. Fiori di Pesco. So hübsch wie eine Pfirsichblüte.
Danach laufen wir zum Museum für Tomás Morales. Es ist wunderbar gelegen, das beste Haus am Platz, und schon auf dem Weg dorthin kommen wir an zahlreichen Hauswänden vorbei, an die Gedichte von ihm aufgemalt sind: »Tomás Morales Castellano (Moya, 1884 – Las Palmas de Gran Canaria, 1921) ist einer der wichtigsten Dichter der hispanischen modernistischen Bewegung. Seit dem Erscheinen seines ersten Buches, Poems of Glory, Love and the Sea (1908), hoben Kritiker seine außergewöhnliche Begabung für Verse und die kraftvolle Persönlichkeit hervor, mit der er seine Themen, insbesondere solche, die Meeresthemen betrafen, behandelte.« (Automatische Google-Übersetzung von der Webseite des Museums)
Rundgang durch das zweistöckige, sehr schöne, aber absolut uninstruktive Museum … Selten haben wir eine erklärungsgeizigere Gedenkstätte besucht. Offenbar wurde Morales in dem Haus geboren, das heute sein Museum beherbergt. Die meisten seiner Gedichte in der Stadt tragen die Jahreszahl 1922, obwohl der Dichter bereits 1921 gestorben ist. Verwirrt verlassen wir den Ort, setzen uns in ein Café, trinken köstlichen Kaffee und stärken uns mit einem belegten Brötchen und einem Puddingteilchen. Anschließend mit dem Leihwagen zum Lorbeerwald Los Tilos de Moya. Wir laufen den roten Rundweg durch das Naturreservat, laut Komoot insgesamt 1,97 Kilometer in 36 Minuten. Das Besucherzentrum am Ende des Wegs informiert darüber, dass es auf Gran Canaria rund 850.000 Einwohner gibt und pro Jahr etwas mehr als 3.500.000 Touristen.
Rückfahrt auf gruseligen Serpentinen – zum Glück fährt die gesamte Strecke niemand hinter uns. Bei Hiperdino machen wir einen Halt und kaufen Fischfilets. Um 16 Uhr 30 zurück am Apartment. Wir beginnen sogleich mit der Kartoffelzubereitung. Um halb sechs Abendessen auf dem Balkon: Kartoffeln, Mojo und Fisch. Das Filet ist deutlich grätenreicher als der Peterfisch und war leider eine schlechte Wahl. Nach dem Essen Tagebuch und spülen. Um kurz nach sieben bringen wir den Müll mit den Fischabfällen zum Müllcontainer. Sehr schöner Abendspaziergang in der Dunkelheit durch das Viertel. Um 19 Uhr 40 wieder zuhause. Mit Bier weiter am Tagebuch. Danach fernsehen – eine Folge Mathewelten, eine kurze Doku über die Smiths und dann eine Folge Survivor. Um kurz nach zehn ins Bett und Schlaf.

Freitag, 3. November, Agaete
Bis 7 Uhr 15 geschlafen. Kaffee und lesen auf dem Balkon. Bücher- und Comicbestellungen für 74 Euro. Mini-Stretching und Müsli-Frühstück. Ich spüre eine deprimierte Stimmung in mir, habe in der Nacht auch einen Stresstraum bezüglich einer Lesung von mir gehabt – wahrscheinlich bin ich einfach traurig, dass der Urlaub morgen zu Ende geht und ab Montag der Arbeitsalltag wieder beginnt: Schreiben, Verlagssuche, Lesungsvorbereitungen, SUKULTUR, Social Media… Dabei gäbe es eigentlich auch einen Grund zur Freude, nämlich die Reise nach Berlin und das alle3-Wiedersehen.
Um kurz vor halb elf fahren wir mit dem Auto zu den Salinas de Agaete, einer ehemaligen Anlage zur Salzgewinnung, das heute als Schwimm- und Schnorchelspot genutzt wird. Von einem Kreisverkehr biegen wir auf einen versteckten Weg ab, den ich wahrscheinlich nie gefunden hätte, wenn nicht direkt vor uns ein Fahrzeug diesen holprigen, steinigen und löchrigen Weg genommen hätte. Minutenlang fahren wir über die unbefestigte Strecke und stellen schließlich unser Auto unter einer Palme ab. Wir laufen zu den Salinas, in denen sich schon zahlreiche Schwimmerinnen und Schwimmer tummeln. Wir sind unsicher, ob wir ebenfalls in das Becken steigen sollen, und laufen erst einmal die schöne, breite Strandpromenade entlang, die uns bis zu den Restaurants am Hafen führt. Unterwegs kommen wir plötzlich in einen starken Regen, der aber zum Glück nach wenigen Minuten aufhört.
Am Hafen beobachten wir das Anlegen der Fred-Olsen-Fähre aus Teneriffa und einen Angler, der mit Brot fischt. Anschließend laufen wir auf der Promenade zurück zu den Salinas. Mittlerweile ist es ultraheiß und wir entscheiden uns, nicht zu schnorcheln, sondern nur zu schwimmen. Wegen der spitzen, scharfkantigen Treppenstufen ist der Einstieg in das Becken für mich überaus schmerzhaft. Zudem beunruhigt mich das flache Wasser, da ich Angst habe, mich zu schrammen und zu verletzen. Beim Untertauchen des Kopfes bin ich allerdings sogleich verzaubert, da die Becken mit relativ großen Fischen gefüllt sind, die ich sehr gut beobachten kann. Die Becken sind untereinander mit Tunnel verbunden und werden immer tiefer. Es macht mir Spaß an den Wänden entlang zu schwimmen und die Tiere unter Wasser zu beobachten, während über mir riesige Wellen über die Beckenränder schwappen. An der Felswand sehe ich Fische, die sich wie Moränen in den Ritzen verstecken und ihren Kopf und ihr Maul herausstrecken. Außerdem seltsame Wesen, die am Felsen kleben mit weißen spiralförmigen Armen oder Tentakeln wie eine Nudel. Das Schwimmen in den Becken ist allerdings nicht ungefährlich, da der Lavastein äußerst scharfkantig ist. Beim Tauchen durch die Öffnung von dem einen ins andere Becken stößt sich Alexandra den Kopf und ich schlage mit dem Fuß gegen eine Felswand – trotzdem steht für uns nach dem Verlassen des Beckens sogleich fest, dass wir direkt noch einmal hinein müssen, diesmal mit Schnorchelmaske, GoPro und ich auch mit Flossen.
Ich eile zum Auto und hole die Sachen, danach betreten Alexandra und ich das Becken ein zweites Mal. Es lohnt sich sehr. Ich filme die seltsamen Wesen an der Wand, sehe aus den Augenwinkeln einen klitzekleinen Kugelfisch und halte mich lange am Felsen vor dem Meer auf, dessen Zinnen immer wieder von wuchtigen Wellen überspült werden. Kurz bevor wir hinausgehen wollen, entdeckt Alexandra einen zweiten Tunnel zu einem anderen Becken. Ich bin neugierig und tauche hinein, werde aber von der Tiefe und Länge des Tunnels überrascht. Die Decke nimmt kein Ende. Ich werde panisch, hole mit den Armen aus, um mich schneller vorwärtsbewegen zu können, und schramme mit dem Arm den Felsen. Es schmerzt und ich habe drei blutige Striemen am Ellbogen – wie von einem Wolverine-Baby verursacht. Auch Alexandra stößt beim Tauchen durch den anderen Tunnel mit dem Fuß gegen den Lava-Fels und blutet. Zudem haben wir beide im Gesicht Sonnenbrand, da wir viel zu lange in den Salinen tauchten. Dennoch hat sich der Trip gelohnt. Wir trocknen uns ab, ziehen uns in den Toiletten um, gehen zum Auto und fahren zurück zum Apartment.
Um 13 Uhr 40 wieder zuhause. Nudeln zum Mittagessen. Hinterher lesen und Schlaf. Danach Kaffee und Knausgård-Recherche. Um 18 Uhr 30 mit der letzten Tropical-Flasche und Weißwein auf den Balkon. Hinterher schönes, entspanntes Reden mit Alexandra unter einem romantischen Sternenhimmel mit blinkenden Lichtern, anscheinend Flugzeuge. Und was ist das andere Licht, das wie ein Stern leuchtet, sich dabei aber äußerst schnell bewegt? Ein Satellit?
Abendessen mit schmackhaften Resten: Spaghetti mit Pesto, Kartoffeln mit Mojo, Käse und Röstbrot. Spülen und aufräumen, um 20 Uhr 40 fernsehen. Eine Folge Mathewelten und eine Folge The Amazing Race. Um 22 Uhr 20 fröhlich ins Bett und Schlaf.

Samstag, 4. November, Agaete
Bis kurz vor sieben geschlafen. Kaffee und lesen im Internet, während uns Alexandra für unsere Flüge eincheckt. Tagebuchschreiben auf dem Balkon bis kurz vor neun. Müsli-Frühstück, danach gehen Alexandra und ich die Aufzeichnungen durch und rätseln, was wir am Montag zwischen 16 Uhr und 18 Uhr 30 getan haben. Wir waren mit dem Auto unterwegs, können uns aber nicht erinnern wo. Um 10 Uhr 20 Aufbruch und Fahrt nach Sardina del Norte. Vorher noch ein Abstecher zur Punta de Gáldar. Fasziniert schauen wir zwei Anglern am Pier zu, das vom Meer wild umtost wird. Danach Fahrt zum Leuchtturm und rasche Umkehr wegen der unbefestigten Straße.
Wir parken in Sardina del Norte und gehen mit dem Schnorchel- und Schwimmequipment zum Strand. Schon von weitem erkennen wir, dass der Wellengang viel zu hoch und ungestüm ist, weshalb wir die Flossen und Taucherbrillen direkt wieder zum Auto bringen. Doch selbst fürs Schwimmen sind die Wellen zu gefährlich. Donnernd krachen sie ineinander und die Gischt spritzt meterweit in den Himmel. Sogar die Hafenmole, vor der wir gern schnorcheln, wird von Wellen regelmäßig überspült. Im Wasser sind nur zwei Bodyboarder und drei Jugendliche. Alle anderen Badelustigen stehen in Ufernähe nicht einmal knietief im Meer und schauen furchtsam auf die Fluten. Ich will es dennoch versuchen, gehe allein ins Meer und werde trotz aller Vorsicht dreimal hintereinander von der Brandung mitgerissen und meterweit über den Sandboden mit seinen Steinen gespült. Es ist kein spaßiges, sondern ein angsterfülltes Treiben. Beim dritten Mal zerre ich mir beim Abstützen einen Muskel im rechten Oberarm. Dennoch kann ich von Glück sprechen, mich nicht gleich dreimal ernsthaft verletzt zu haben.
Abtrocken und hypnotisches Starren auf die Wellen. Ein vielleicht fünfzehnjähriger Junge hat sich zu weit rausgewagt und wird mehrmals unter wuchtigen Wellenbergen begraben. Mehrere ältere Bodyboarder stehen alarmbereit neben der Dusche, versuchen mit Rufen einen anderen Bodyboarder im Meer auf den Jungen aufmerksam zu machen und eilen schließlich zum Strand, um dem Jungen zu helfen. Als er abgekämpft und entkräftet zum Strand zurückkehrt, sieht man ihm den Schrecken im Gesicht an.
In der Mittagshitze zur Terraza del Ancla. Wir können wieder unseren Stammplatz einnehmen und teilen uns eine Portion gegrillte Muscheln, eine halbe Portion Calamari und eine sehr gute Paella mit einem winzigen Mini-Hummer. Um 14 Uhr 15 zurück im Apartment. Duschen und lesen, um halb vier Schlaf. Eine Stunde später Kaffee und packen. Wir kommen gut und schnell voran. Um halb sechs essen wir Sandwichs und Salat, danach auf dem Balkon Tagebuchnotizen und um halb sieben weiter packen.
Um kurz nach sieben sind wir mit dem Einpacken fertig. Im Internet bestelle ich ein Zugticket für nächsten Samstag für die Fahrt von Hermsdorf nach Hamburg. Danach lese ich ein paar Seiten Knausgård. Packen des Wagens und um 20 Uhr 25 Fahrt zum Flughafen. Draußen ist es stockfinster und wir sind froh, als wir gegen 21 Uhr 30 im Parkhaus ankommen. Rückgabe des Autos, dabei werden uns 45 Euro für Assistenz in Rechnung gestellt und von der Kaution abgezogen – die Idiotengebühr! Leider verdient. Mit den Koffern zum Check-In-Schalter. Unser Flug hat bereits 20 Minuten Verspätung. Der Schalter ist noch geschlossen und wir setzen uns gegenüber an einen Tisch mit Stühlen, essen und beobachten das Geschehen. Fotos auswählen und Daten sortieren, um zehn vor elf zur Gepäckabgabe. Sie klappt ebenso schnell wie der Sicherheitscheck. Bereits um zehn nach elf sitzen wir im Food Court der Boarding Area und Warten auf unseren Abflug in etwas mehr als zwei Stunden. Wir sind ultramüde und so lange wach wie noch nie in unserem Urlaub. Ein Sofa wird frei, wir wechseln dorthin und schlafen bis kurz vor zwölf.





