Eriwan. Aufzeichnungen aus Armenien. Kapitel 4
Das Ende der Welt
Im Preis inbegriffen war eine »Wellness«-Behandlung. Zunächst wurden wir auf klassische Weise medizinisch untersucht, alle gemeinsam in einem Raum. Danach fand die Sauerstoffbehandlung statt. Ich bekam ein Glas mit Schaum zu trinken, angeblich reiner Sauerstoff. Als nächstes stand eine Art Zahnfleischmassage auf dem Programm, bei der ich von oben bis unten pitschnass wurde, weil mir eine Frau ein gläsernes Brauserohr ohne Erklärung in den Mund steckte und dann ohne Vorwarnung den Wasserhahn aufdrehte. Baden durfte ich aufgrund meines erhöhten Blutdrucks nicht, stattdessen unterzog ich mich einer Limonenkur, die darin bestand, ein Glas Wasser mit Zitrone auszutrinken.
Alexandra genoss derweil ihr Mineralwasserbad, das nach zehn Minuten Entspannung barsch mit dem russischen Ruf Wsjo! beendet wurde. Zum Abschluss folgte eine zwanzigminütige Massage, die eher an Chiropraktik als an Wellness erinnerte, dafür war hinterher Alexandras Wirbelsäule wieder im Lot.
Um zwanzig nach vier verabschiedeten wir uns aus Goris und fuhren nach Kapan. Nach anderthalb Stunden machten wir kurz vor Kapan eine Rast. Robert zeigte uns eine kleine, noch in Arbeit befindliche Kapelle am Straßenrand, die sein Bruder gerade in seiner Freizeit baute. Dann fuhren wir weiter.
Die Fußball-Europameisterschaft in Österreich und in der Schweiz veränderte unser Leben. Aufgrund der Zeitverschiebung begannen die Abendspiele in Armenien erst um dreiundzwanzig Uhr fünfundvierzig. In der Gruppenphase waren wir dementsprechend übernächtigt. Auch die Champions League-Fußballspiele konnte ich im Frühjahr im armenischen Fernsehen live und unverschlüsselt sehen, oft wurden die Spiele sogar parallel auf verschiedenen Sendern gezeigt. Schwer zu ertragen waren allerdings die Halbzeitpausen, in denen ein schleimiger Greis Werbung für eine Mineralwassermarke machte. Das war quasi der einzige Werbeclip und wurde in heavy rotation fünfzehn Minuten am Stück gezeigt. Kurios war zudem eine Sendung, die abends im Hauptsender endlose, mit Musik unterlegte Kamerafahrten durch ein Möbelstudio zeigte. War es Werbung oder Bildung, vielleicht die armenische Variante von Alexander Kluges DCTP?