Road to Twin Peaks 2

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Freitag, 11. Mai, Lake Louise/Jasper

Morgens Kopfschmerzen. Um kurz vor elf Abfahrt und kurz danach Sichtung eines stattlichen jungen Rothirsches am Straßenrand. Mittagessen in Lake Louise wieder im Family Dinner, in dem immer die Busse mit den chinesischen Touristen halten, da alle anderen Restaurants in der Vorsaison noch geschlossen haben. Mehrstündige Fahrt auf dem Icefields Parkway, dabei zahlreiche Fotostopps. Die Aussichten in zweitausend Meter Höhe sind wahrlich traumhaft. Das Wetter ist wunderbar und ich möchte alles fotografieren, leider aber sind zahlreiche Wanderwege und Aussichtspunkte noch gesperrt. Fotosession am idyllischen Alexandra River vor der Weeping Wall mit ihren zahllosen Wasserfällen. Die Berge sind so schön gezackt wie ein riesiger Drachenrücken. Letzter Stopp am Athabasca-Gletscher. Langer überflüssiger Weg vom Parkplatz zu einem geschlossenen Parkplatz und danach anstrengender Aufstieg zu einem unansehnlichen Aussichtspunkt. Hinterher extrem erschöpft, auch von der Höhenluft. Weiterfahrt und um kurz vor sieben Ankunft in der Bear Hill Lodge in Jasper. Direkt neben unserem Hotel grast ein Rothirsch auf der Wiese neben dem Sportplatz. Spaghetti zum Abendessen und schöner Spaziergang. Die Stadt gefällt uns sehr gut. Sie erinnert mich an ein Eifelstädtchen – nur mit Bergen, Bären und Hirschen. Abends Blogarbeiten und baden.

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Samstag, 12. Mai, Jasper

Morgens Kopfschmerzen. Wahrscheinlich liegt es an der Höhe, knapp über eintausend Meter. Spaziergang zum Bäcker und gemütliches Frühstück mit leckeren Vollkornbrötchen im Cottage. Später am Vormittag langer Spaziergang durch den Wald, der direkt vor unserem Häuschen beginnt. Nach einem steilen Aufstieg mehrere Rothirschbegegnungen. Eine Hirschkuh grast mitten im Wald auf unserem Wanderweg, so dass wir einen kleinen Umweg gehen müssen. Mittagessen beim Koreaner in der Ortsmitte, danach Mittagsschlaf. Hinterher Kaffee und Eishockey. Winnipeg gewinnt das erste Playoff-Spiel gegen die Vegas Golden Knights, dabei Internet, Blogarbeiten und Planungen unserer weiteren Reise. Abends schöner Spaziergang in die Stadt mit Rieseneis. Wir sehen die Einfahrt des Rocky Mountaineer und die Verfrachtung der Zugpassagiere in die Busse, die sie in ihr Hotel, wahrscheinlich die Fairmont Jasper Park Lodge, bringen werden. Uwe und Claude haben auch so eine Zugreise im Panoramawagen unternommen, wie sie uns erzählten. Ein einfaches Ticket von Vancouver nach Jasper mit einer Übernachtung kostet in der Silberklasse mindestens eintausendachthundert kanadische Dollar und in der Goldklasse zweitausendfünfhundert Dollar. Die längste Zugreise mit zwölf Nächten kostet zwischen sechstausendachthundert und elftausenddreihundertfünfzig Dollar. Vor dem Bahnhof steht ein Totempfahl.

Der Totempfahl ist neueren Ursprungs und ersetzte den früher an dieser Stelle stehenden Totempfahl, der 2011 endgültig zerfallen war. Ursprünglich stammte er aus Haida Gwaii. Zahlreiche Totempfähle waren im frühen zwanzigsten Jahrhundert den indigenen Stämmen im Westen Kanadas geraubt und zur Verzierung von Bahnhöfen in Kanada eingesetzt worden. Im Laufe unserer Reise haben wir nun schon von mehreren kanadischen Unrechtstaten erfahren. So hatte die kanadische Regierung im Ersten Weltkrieg männliche Ukrainer interniert und in Arbeitslager gesteckt, die unter anderem die Straßen in den Westen Kanadas gebaut und am Ausbau des Nationalparks mitgewirkt hatten. Im zweiten Weltkrieg wurden wiederum japanisch stämmige Kanadier enteignet und interniert. Männer, Frauen, Kinder, ganze Familien. Auf dem Nachhauseweg Fuchssichtung und um kurz vor zehn wieder in der Hütte. Computerkram und Tagebuch.

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Sonntag, 13. Mai, Jasper

Bis halb acht geschlafen. Duschen, rasieren und gemütliches Frühstück. Um kurz nach zehn mit dem Auto nach Maligne Lake. Unterwegs kommen wir an einem abgebrannten Wald vorbei und halten an. Mich überkommt ein eigenartiges Gefühl, als ich mich verbotenerweise durch den Wald bewege. Ich empfinde ihn als schön, sehe wie eine Folie darüber aber gleichzeitig auch die für die Schönheit verantwortliche Zerstörung. Als nächstes halten wir an einer idyllischen Flussbiegung mit zutraulichen Streifenhörnchen, die sich auf den Felsen wie Filmstars auf dem roten Teppich präsentieren, und einen lange über dem Fluss kreisenden Fischadler. Weiter zum Maligne Lake. Der See ist noch zugefroren und leider haben die Lokale noch nicht geöffnet. Hungrig fahren wir zurück nach Jasper und essen mitten in der Stadt zu zivilen Preisen eine hervorragende Pizza. Um fünfzehn Uhr wieder in der Hütte. Schlafen, Kaffee und Tagebuch. Um kurz vor sechs mit dem Auto zu einem Parkplatz am Athabasca River und zweistündige Wanderung zum Old Fort Point Summit. Unterwegs passieren wir eine Wiese mit grasenden Bergziegen und ich komme mir vor wie in einer Heidi-Verfilmung. Oben angekommen erwartet uns ein irrer, dreihundertsechzig Grad weiter Panoramablick. Eis zum Abendessen in der Stadt und um kurz vor neun wieder in der Hütte. Abhängen, aufräumen und Wäsche waschen. Auf Facebook antworte ich Marc K., der mich nach meiner Meinung zur dritten Twin-Peaks-Staffel gefragt hat: »Mir hat die Staffel sehr gut gefallen, es gab zwar einige Längen und Durchhänger, etwa bei den Passagen mit Dougie Jones und Audrey, dafür aber auch etliche tolle Momente und unglaublich viele brillante Ideen und Szenen. Es war auch ganz anders als ich erwartet hatte – und das ist natürlich super. Genial fand ich überdies das Ende, vor allen Dingen die siebzehnte Folge, und wie es Lynch geschafft hat, den Mythos weiterzuspinnen und zu vollenden. Also mir hat es sehr gut gefallen. Parallel zum Serienschauen hatte ich mir seinerzeit übrigens die YouTube-Filme von Pete Peppers angeschaut. Dieses Easter-Egg-Suchen und parallele Spekulieren fand ich damals extrem unterhaltsam und bereichernd.«

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Montag, 14. Mai, Jasper/Valemount (British Columbia)

Bis kurz nach sieben geschlafen. Brötchenkauf und Frühstück. Um zwanzig vor elf Aufbruch, tanken und endloses überflüssiges Warten vor einer Bahnschranke. Mit dem Auto nach British Columbia und Halt an der Provinzgrenze und den Overlander Falls. Alexandra hat ein Buch über den Overlander Treck gelesen, der die Strecke von Ontario nach British Columbia 1862 auf dem Landweg bewältigte, anstatt wie damals üblich auf dem Seeweg über Südamerika. Lange Pause am Fuße des Mount Robson, dem mit dreitausendneunhundertfünfzig Metern höchsten Gipfel der Rocky Mountains. Wir entscheiden uns, heute nicht mehr länger weiterzufahren, sondern in Valemount zu übernachten, buchen aber, nachdem wir uns das Örtchen und das schmucklose Best Western Plus angeschaut haben, auf dem Parkplatz im freizugänglichen Hotelinternet ein Zimmer in der nahgelegenen Willow Ranch. Kurz danach entdeckt Alexandra in einer Infobroschüre das noch nähergelegene Twin Peaks Resort. Zum Glück sind dort alle Zimmer ausgebucht, trotzdem steuern wir sogleich das auf der Wegstrecke liegende Resort an. Es besteht aus fünf Blockhütten, liegt inmitten eines einsamen Waldes und ist ein absolut verwunschener Ort. Den Straßenrand säumen seltsame Wurzelskulpturen wie aus einer Mystery-Krimiserie und eine Krähe krächzt unheimlich aus dem Wipfel eines Baumes. Ich kann mich nur schweren Herzens von dem Ort trennen, dann fahren wir weiter und kommen um Viertel vor fünf in der Willow Ranch an. Der aus den Niederlanden stammende Besitzer des Pferdehofs begrüßt uns, steigt in seinen Pickup-Truck, fährt vor und führt uns über eine buckelige Lehmpiste zu unserer höhergelegenen, abgelegenen Hütte. Eigentlich sind es vier Cabins, doch da wir die einzigen Gäste sind, haben wir das gesamte Gelände für uns allein. Die Hütte ist gemütlich und modern eingerichtet. Sie verfügt über ein großes Bett, eine Kochzeile, einen Grill auf dem Balkon und gutes Internet. Es ist eine wunderbare Kulisse. Wir sind von traumhaften Bergen umgeben und dürfen alle Lagerfeuerstellen auf dem Gelände benutzen. Selbst wenn wir in der Nacht von Bären gefressen oder von Serienmördern gequält werden würden, hätte sich der Aufenthalt hier oben gelohnt.

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Dienstag, 15. Mai, Valemount/Little Fort

Um sieben Uhr wachgeworden. Um acht Uhr Frühstück, das man uns von der Ranch gegen einen kleinen Aufpreis zur Hütte gebracht hat. Blogarbeiten und Tagebuch, danach verlassen wir diesen wunderbaren Ort. Um halb zwölf erreichen wir die River Safari Station. Obwohl wir extra morgens angerufen haben und man uns versichert hatte, dass alle dreißig bis sechzig Minuten ein Boot starten würde, können wir nur ein Ticket für die Dreizehn-Uhr-Bootstour kaufen. Anderthalb Stunden Warten mit einer Gruppe durchgeknallter Thailänder, die ununterbrochen Selfie-Videos drehen. Wir essen einen überteuerten, schlechten Burger und ich filme die Kolibris an der Tränke.

Die Dreizehn-Uhr-Abfahrt verspätet sich noch einmal um eine halbe Stunde, dann geht es los. Wir nehmen in einem Doppelboot aus zwei miteinander verbundenen Einzelbooten Platz, auf dem linken Boot etwa in der Mitte. Nach ein paar Minuten Fahrt bekommt Etienne, unser Guide, einen Funkspruch und wir drehen wieder um und nehmen weitere Passagiere an Bord, ein deutsches Pärchen und zwei Mitarbeiter von dem Campingplatz nebenan. Die Fahrt ist eine reine Enttäuschung. Etienne, der eigentlich Skilehrer ist, erklärt sogleich, dass wir wahrscheinlich keine Tiere sehen werden, weil die Ufer überschwemmt sind. Anstatt wie angekündigt entlegene, seichte Flussläufe zu durchqueren, schippern wir die ganze Zeit auf einer Art Genfer See im gewaltigen Abstand zum Ufer. Etienne macht es sich im hinteren Teil des Bootes gemütlich, mampft sein Mittagessen und funkt mit der Zentrale. Immerhin sorgen die Thailänder im Boot für Unterhaltung. Eine Thailänderin versteckt sich die ganze Zeit unter einer großen Decke, leider rechts neben uns auf dem Boot, so dass wir kaum das Ufer sehen können, da wir die ganze Zeit gegen den Uhrzeigersinn fahren. Zwei andere Thailänderinnen filmen sich nonstop und halten dabei immer wieder einen Kosmetikartikel vor die Kamera, offenbar eine Art Sonnenschutz in Form einer Haarspraydose.

Mit einstündiger Verspätung kommen wir um kurz nach drei an der Ausgangsstation zurück. Es ist nicht nur schade um das viele Geld, dass wir verschleudert haben, sondern vor allen Dingen um die verlorene Zeit. Touristennepp – das älteste Gewerbe der Welt! Weiterfahrt mit dem Auto. Alexandra bucht unterwegs mit dem Handy eine exzellent bewertete Cabin in Little Fort. Um halb sechs Ankunft im Motel. Unsere Cabin entpuppt sich als normales Zimmer direkt an der Hauptverkehrsstraße. Da der Fernseher nicht funktioniert, müssen wir noch einmal umziehen, nehmen ein Downgrade vor und beziehen ein insgesamt sogar hübscheres Zimmer im hinteren Teil des Motels. Beim Auspacken und Tagebuchschreiben stelle ich fest, dass ich mein Computerkabel in Valemount vergessen habe. Eishockey, Tagebuch auf Alexandras Rechner, Coors Light und ein indisches Mikrowellenessen auf der Veranda vor unserem Zimmer.

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Mittwoch, 16. Mai, Little Fort/Hope

Laute Nacht in einem wackeligen Bett mit synthetischer Bettwäsche. Es ist so laut im Zimmer, dass ich den Wecker erst nach mehreren Minuten höre. Okayes Frühstück – der nette Hotelbesitzer gibt uns einen Refund von fünfundzwanzig Dollar für die Unannehmlichkeiten wegen unseres Umzugs. Um kurz vor zehn in einer Mall mit einem Apple Shop in Merritt. Ich kaufe für einhundertzehn Dollar einen neuen MagSafe Power Adapter. Aufladen, Tagebuchnotizen und Kopieren von Songs auf das iPhone, dabei Einkauf in der Mall. Weiterfahrt und um halb zwei Stopp in Hope an einem Sushi-Laden namens Kibo. Tolles Essen und Entschluss, heute in Hope zu bleiben und nicht weiter zu fahren. Auf sueddeutsche.de lese ich einen Artikel über Christian Krachts erste Frankfurter Poetikvorlesung, in der er erzählt, wie ihn Pastor Keith Gleed im kanadischen Internat missbraucht hat: »Sein ganzes Leben lang wusste Kracht dann selbst nicht, ob die Geschichte passiert war oder ob er sie sich nur eingebildet hatte. Erst als Prinz Andrew im Jahr 2017 nach Kanada kam, um an seinem ehemaligen Internat das Taufbecken zu Gleeds Ehren einzuweihen, und sich daraufhin erst drei, dann zehn, dann dreißig ehemalige Mitschüler an die Öffentlichkeit wandten, stellte er fest, dass es sich nicht um eine ›false memory‹ handelte, eine falsche Erinnerung, wie sie den Figuren bei Philip K. Dick eingepflanzt werden.« Hope ist ein kleiner, schnuckeliger Ort und hat sogar einen Buchladen: Baker’s Bookstore. Wir fahren hin, doch leider hat der Buchladen geschlossen, weil der Besitzer Nat Baker, wie ein handgeschriebener Zettel an der Tür Auskunft gibt, an diesem Tag in die Stadt, das heißt nach Vancouver, gefahren ist, um sich ein Konzert von Paul Simon anzuschauen. Schon in Grand Rapids war mir ein Konzertplakat von Arlo Guthrie aufgefallen, doch ein Konzert von Paul Simon hätte meine Kanada-Zeit nach dem Art-Garfunkel-Auftritt in Niagara Falls tatsächlich perfekt abgerundet. Um Viertel vor drei im Motel. Auf Wikipedia lese ich, dass der Film Rambo (First Blood, 1982) in Hope gedreht wurde: »Former Green Beret John Rambo is pursued into the mountains surrounding a small town by a tyrannical sheriff and his deputies, forcing him to survive using his combat skills.« Mittagsschlaf, danach Kaffee und mit Alexandra cruisen durch den Ort. Wir schauen uns einige Drehorte an, bei denen ich sofort das Gefühl habe, sie wiederzuerkennen. Die Berge im Nebel, die Straßenkreuzungen und den Bahnübergang, die Brücken über den Coquihalla River und den See, über dem ein Fischadler kreist.

Um Viertel nach sechs rechtzeitig wieder zu Game drei zwischen Winnipeg und Vegas im Motel. Die amerikanische Luftwaffe lässt extra drei Jets zum Heimspiel über dem Eishockeystadion fliegen. Extrem gemütlicher Abend mit Bier, Blog und Computerkram. Leider verlieren die Jets. Abendspaziergang durch Hope. In der Stadt fallen uns die vielen Tesla-Tankstellen für Elektro-Autos auf. Ansonsten sehen wir nur wenige Menschen auf der Straße, die alle einen eher zweifelhaften Eindruck machen. »There are no friendly civilians.« (John Rambo)

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