Öffentlicher Dienst: SUKULTUR

Leistungsschauen

In diesem Monat haben mich gleich zwei Neuerscheinungen erreicht, zu denen ich auf die ein oder andere Weise beigetragen habe. Zum einen die 19. Ausgabe des Ziegels, eine über 400 Seiten pralle Leistungsschau der Hamburger Literaturszene, zu der ich vorerst als frischer Ex-Hamburger und Berlin-Rückkehrer vermutlich zum letzten Mal einen Beitrag beisteuern durfte. Das Thema des Hamburger Jahrbuchs für Literatur lautet Musik und in dem Band ist meine Erzählung »John« abgedruckt, eine What-if-Fantasie über John Lennons Karriere der letzten vierzig Jahre.

Zum anderen flatterte mir ein wie immer anmutig gestaltetetes Taschenbuch aus dem Berenberg Verlag ins Haus, in dem der Verleger meiner Bücher »Selfies ohne Selbst« und »Auf Sendung« selbst zur Feder bzw. Tastatur griff und klug und geistreich über ausgewählte Bücher und Autor*innen seines Verlags Auskunft gibt. Das Buch heißt »Vom Stemmen der Gewichte«, trägt den hintersinnigen Untertitel »News and Letters« und enthält u.a. einen Text über Michael Rutschky und mich mit dem Titel »Die Wahrheit der Autofiktion«.

Auch dieses Buch lässt sich durchaus als Leistungsschau begreifen – und ich bin Heinrich von Berenberg dankbar für seine Arbeit als Verleger und fühle mich angesichts des Klappentextes geschmeichelt und geehrt: »Die Autorinnen (und auch die Autoren), um die es in und anhand dieser Texte geht, erscheinen mir in diesen Zeiten unter literarischen, aber auch unter politischen Gesichtspunkten als so wichtig und auch bedeutend, dass hier nachgelesen werden kann, was ich, hoffentlich, von ihnen und im Austausch mit ihnen gelernt habe. Es ist viel; es hat mich, meine Ansichten und meine Gedanken verändert und bereichert, und das, finde ich, ist das Beste, was die Arbeit als Verleger von Büchern hergeben kann.«

Diesen letzten Satz hätte ich nicht so fein formulieren können, kann ihn als Verleger des SUKULTUR Verlags allerdings mit Nachdruck unterschreiben. 

Dies ist kein Wasser

degens.giancarloditrapano.faz

Obwohl ich Giancarlo DiTrapano nicht persönlich kennengelernt habe, hat er mich als Schriftsteller und SUKULTUR -Verleger enorm beeinflusst. Heute erschien in der Samstags-FAZ mein Porträt von ihm. In drei Tagen, am 30 Januar, wäre er 50 Jahre alt geworden. 

Neue Literatur im Rathaus

Herbert Hindringers Lesung am Mittwoch hat mich enorm beeindruckt. Die Lesung fand im Säulenkeller im Haus der Patriotischen Gesellschaft von 1765 an der Trostbrücke statt, einem von außen wie innen imposanten, unter Denkmalschutz stehenden Gebäude. Der Säulenkeller ist ein geheimnisvoller, konspirativer Ort. Fünfzehn Zuhörerinnen und Zuhörer waren zur Lesung zusammengekommen, der Raum war damit gut gefüllt, und ich fühlte mich wie das Mitglied einer frühchristlichen Sekte. Zu Beginn las Herbert zwei Texte aus seinem 2016 unter dem Pseudonym Uwe Uns veröffentlichten Buch »111 Gründe, Hamburg zu hassen«, danach begann der ernste Teil mit kürzerer, absurder Prosa und großartigen, noch unveröffentlichten Gedichten. Es ging um Ängste, Trauer und den Abschied von den Eltern. Dazwischen las Herbert seelenverwandte Gedichte von anderen Lyrikern vor: Mirko Bonné, Hendrik Rost, Thomas Brasch u.a. Moderiert und organisiert wird die Reihe »Neue Literatur im Rathaus«, die seit 2019 an diesem Ort stattfindet, von Peter Engel. Die nächste (übrigens kostenlose) Veranstaltung findet am 8. November 2023 statt, um 19 Uhr stellt die Schriftstellerin Sigrid Behrens dann dort ihren Roman »Gute Menschen« vor. Herbert Hindringers letzter Band mit Gedichten erschien 2011: Es wird Zeit für eine neue Lyrikveröffentlichung dieses erstrangigen Dichters.

E1AFA551 7BDE 4FFF A37F 618570D2AADB

Place Petite

Einer der in meinen Augen schönsten Sätze, die ich dieses Jahr geschmiedet habe, lautet: »Die französische Lebensart in Dorsten zu genießen fiel nicht leicht, am schwersten wahrscheinlich im Bistrorant ›Place Petite‹ im Lippetor unter der Rolltreppe im Untergeschoss ohne Tageslicht neben Schlecker.« Er wurde für Kevin Vennemann geschrieben, der wie ich in Dorsten aufwuchs, und für »cargo – Zeitschrift für Film, Medien und Kultur« eine schöne, lesenswerte Kolumne in der Reihe »Provinzkino« über das einstige Schlüssel-Kino im inzwischen abgerissenen Lippetor-Center verfasst hat. Bis heute setzt der Name des Einkaufszentrums ganz viele Erinnerungen in mir frei … Das Lippetor ist wohl meine Madeleine. Kein Wunder, ich musste auf dem Weg in die Schule ja auch immer hindurch oder dran vorbei. Oben, auf dem Parkdeck, war die Praxis einer meiner Ärzte von mir (Dr. Kobold; vgl. »Der Knubbel«, Schöner Lesen #1), und später wohnte eine Referendarin, in die ich verknallt war, sogar in einer Wohnung im Lippetor. Bizarrerweise bezog nach dem Ende des Schlüssel-Kinos eine Videothek die Räumlichkeiten – in »Hier keine Kunst«, meinem Dorsten-Roman, liest der Protagonist (also ich) sogar in dieser Videothek … Wahrscheinlich habe ich zwei Romane gebraucht, um mir meine Dorsten-Vergangenheit vom Leib zu schreiben, und wahrscheinlich bin immer noch nicht damit fertig.

Vielen Dank an Ekkehard Knörer für die Übersendung der Zeitschrift.

1996

neugelesen

»Es ist ein Großstadtheft, etwas für Neurotiker, ein gehaltvoller Snack zwischen Menschenmengen und Terminen. Gesund? Eher nicht. Aber eingängig! Prosa-Stücke stehen lose zusammenhängend zwischen Gedichten. Ein buntes Treiben in diesem „Stichdunkeldüsterfinsterlichtlose[n]verlöschtüberwölkende[n] Nichts“ unserer Tage, nach dem sich jeder Reisende und jede Stadtratz sehnen.«

David Westphal über »Man sucht sich« (Schöner Lesen 2, SUKULTUR 1996) -> LINK

Ich benutze Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessern. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.