Öffentlicher Dienst: Felix Kubin

Der Schrankmann

Das ist die Geschichte von Kristian Vandet Jørgensen, eine auf wahren Begebenheiten beruhende Erzählung, die 1914 in Jütland ihren Anfang nimmt und bis in die Gegenwart reicht. Eine Geschichte über Isolation, Inspiration, Treue, Kunst und Krieg; über Nachbarschaft, Downsizing, Tiny Houses und die Liebe eines Mannes zu seinem Schrank.

für Felix Kubin

1914 kommt der Molkereiarbeiter Kristian Vandet Jørgensen im Alter von siebzehn Jahren mit einer Schubkarre, auf der er einen Kleiderschrank transportiert, aus dem Norden des Landes an den Oddesund und lädt das Möbel am Strand von Skibdal ab. Die nächsten drei Jahre lebt Jørgensen in dem Schrank, der ungefähr einen Meter achtzig hoch, fünfundneunzig Zentimeter breit und fünfzig Zentimeter tief ist. Hochkant gestellt kann Jørgensen in dem Schrank stehen, sitzen und kochen. Nachts, wenn er schlafen will, legt er den Schrank auf den Boden, kriecht hinein, streckt die Beine aus, klappt die Tür zu und verriegelt den Schrank von innen mit einem Haken. Aus nächster Nähe erlebt Jørgensen so den Dampfschiffbetrieb mit und sieht die Fähren zwischen Oddesund Nord und Oddesund Süd hin und her fahren. 1917 zieht er mit seinem Schrank weiter an den Strand von Vesterfjord. Seine Toilette ist ein Bach in einem Kiefernwald und sein Badezimmer die Nissum Bredning…

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Ich hasse Dur!

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Dienstag, 12. Dezember, Hamburg

Um 17 Uhr mit dem Bus zur Holstenstraße und dann mit der S-Bahn nach Harburg in die Sammlung Falckenberg zu Katharina Duves Führung durch die Cindy Sherman Ausstellung unter dem Titel »Tarnung Parole Aneignung – Kleidung als politische Performance«. Ich komme um Viertel vor sechs an, treffe Anna Lena, ein paar Minuten später stößt auch Felix dazu.

Um Viertel nach sechs beginnt Kati mit der Führung – zu ihren hochhackigen Lederschuhen mit Schlangenmuster trägt sie eine helle Hose und ein weißes Shirt, die sie beide von oben bis unten und kreuz und quer mit ihren Notizen und Referenzbildern bedruckt, beschrieben und beklebt hat. Kati trägt ihren Spickzettel somit am Körper. Obwohl die Führung auf 20 Personen begrenzt ist, nehmen am Ende 30 Personen am Rundgang teil. Katharina führt uns zu ausgewählten Bildern und spricht auf kluge und persönliche Weise über Shermans Werke, die Hintergründe ihrer modischen Arbeiten und über ihren enormen Einfluss auf die ihr nachfolgenden Künstler*innen, zu denen sich auch Katharina zählt. Die Führung ist recht unakademisch, dafür lebendig, witzig und leicht. Und obwohl Kati uns am Anfang aufgefordert hat, jederzeit Fragen zu stellen und sie zu unterbrechen, muss sie doch fast die ganze Zeit reden. Es macht aber auch viel Spaß, ihr zuzuhören – und natürlich geht es ja auch, wie Kati anfangs scherzhaft sagte, in erster Linie um sie.

Nach über einer Stunde ist die Führung beendet und wir kommen in einen Raum mit Tischen, Stühlen, Wein, Wasser und Snacks, setzen uns zusammen und Kati macht noch einen kleinen Input mit ihren eigenen Werken und zeigt Filmausschnitte, Instagramvideos und Fotos. Es ist wie eine zweite Vorlesung und ich bewundere Kati für ihre Ausdauer und ihren Enthusiasmus. Sie schont weder sich noch uns. Danach sitze ich mit Felix zusammen. Wir trinken Wein und führen heitere Gespräche, über Madeira, wo Felix kürzlich auf einem Festival war, über Filmmusiken, die Youtube-Audio-Library, den großartigen Henry Mancini, den genialen Ennio Morricone und den verabscheuten Hans Zimmer. Schließlich beugt Felix sich vor, blickt mich an und erklärt mit Verzweiflung in der Stimme: »Ich hasse Dur!«

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Der Schrankmann in »Bilder & Zeiten«

Gestern veröffentlichte die F.A.Z. in der digitalen Beilage »Bilder & Zeiten« meine Erzählung »Der Schrankmann«. Eine auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte, die 1914 in Jütland ihren Anfang nimmt und bis in die Gegenwart reicht. Ein Text über Isolation, Inspiration, Treue, Kunst, Krieg und die Liebe eines Mannes zu seinem Schrank. Für Felix Kubin.

Literatur und Geselligkeit. Die Begeisterungsshow im Berliner Kaffee Burger. Von Michael Rutschky.

Diese Geschichte ist kompliziert. Sie handelt von dem Quellort einer neuen Avantgarde, die sich hier regelmäßig versammelt, im Berliner Kaffee Burger, wobei man das „Kaffee“ nicht französisch schreibt, sondern wie das deutsche Wort. Ein schwer ostig inszeniertes Lokal in der ehemaligen Wilhelm-Pieck-Straße, halbdunkel-gemütlich, ornamentierte Tapeten, unbequeme Stühle.

Radio Hochsee heißt beispielsweise eine Veranstaltung, die hier regelmäßig stattfindet. Oder eben Begeisterungsshow, von der jetzt erzählt wird. An jedem letzten Montag des Monats rollt sie ab, und man könnte sie als eine Art performatives Feuilleton charakterisieren, wenn das viel sagen würde.

Aber die Geschichte ist eben kompliziert. Ein Internet-Magazin namens satt Punkt org veranstaltet die monatliche Begeisterungsshow und ist gleichzeitig mit einem Kleinstverlag namens SuKuLTuR vernetzt, der gelbe Lesehefte – wie von Reclam – publiziert. Wer drei Euro Eintritt bezahlt, bekommt das neueste Exemplar. Gestern war es Moldawien von Timo Berger, eine deutsch-lateinamerikanische Liebesfarce in 17 Druckseiten, mit zwei schönen Zeichnungen von Ana Albero. Außerdem erhält der Besucher der Begeisterungsshow ein Los; denn es findet dabei eine Tombola statt. Bücher waren diesmal die Preise, das Juniheft der Zeitschrift Merkur, Musik-CDs und außerdem – für Leute, die weder lesen noch Musik hören – ein Tischstaubsauger, ein Laserpointer und eine Schachtel mit Messerbänkchen.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: dies ist nicht Kabarett mit Publikumsbeteiligung (alle Gewinner wählten übrigens den Lese- und Hörstoff). Der Gestus, den die Moderatoren kultivieren – Marc Degens und Frank Maleu, auf der Bühne an den Laptops zu sehen ist außerdem Torsten Franz, der das Bildprogramm, auf die Stirnseite projiziert, steuert – , der Gestus der Begeisterungsshow ist der einer kunstvollen Kindlichkeit, der Begeisterung eben, wie sie auch Harald Schmidt in seiner Fernsehshow vorzuführen liebte. Was Degens und Maleu und die Ihren präsentierten, begleiteten sie immer wieder mit der Formel „und das hat mich begeistert“. Kulturkonsum unter Hochrufen, sozusagen, als ästhetische Veranstaltung vor einem Publikum, das, zwischendurch Bier und andere Getränke an der Theke holend, auch leise plaudernd, so etwas zu goutieren versteht.

Was begeisterte aber? Homers Ilias beispielsweise, in der Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt, gelesen von Rolf Boysen: Schauer laufen ihm über den Rücken, gestand Tobias Lehmkuhl und kam artig auf die abendländische Literatur zu sprechen, die von Homer ihren Ausgang nehme. Dazu gab es ein Bild des schönen Brad Pitt, der Achill in Wolfgang Petersens Troja-Film, zu bewundern. Und natürlich kein kritisches Wort über diesen Film, sondern nur Begeisterung.

Sie entfachte auch die Musik von Felix Kubin und von den Boxhamsters aus Gießen, des Trios Der Plan, das sich eben neu formiert hat und glorreich in die Neue Deutsche Welle der Achtziger zurückführt. Marc Degens befragte den maulfaulen Moritz Reichelt, dessen von Südseekunst inspirierte Malerei unterdessen als Projektion zu sehen war. Ja, alles dicht vernetzt eben: Reichelt ist auch Maler (er gehörte seinerzeit locker zu den Jungen Deutschen Wilden), und was er über Der Plan erzählte, führte in die verwickelten Genealogien, die solche Musiker verbinden und von ihren Fans wie kostbares Bildungswissen gehortet werden. Vernetzung eben, die, neben der Begeisterung – wenn man neuen Managementlehren folgt – , einen modernen Betrieb charakterisieren (den alten Betrieb charakterisierten Hierarchie und Lähmung). Auch in dieser Hinsicht ist das Kaffee Burger also auf der Höhe der Zeit.

Sodann begeisterten gestern abend ein palästinensischer Experimentalfilm und die Comics von James Kochalka – aber dies hier ist ohnedies nur eine Auswahl. Wer im Netz auf satt Punkt org geht, den überschütten Informationen; und das Kaffee Burger findet sich in der Torstraße 60; durch Goldfarbe gehöht glänzt der Name in den Fenstergittern.

(Gesendet im Deutschlandfunk, Kultur heute, 1. Juni 2004)

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