degens.rom32

Rom

»Auch ich in Arkadien!«, Göthe.

Rolf Dieter Brinkmann, Rom, Blicke

Montag, 20. Dezember 2021, Hamburg/Rom

Bis 6 Uhr 15 geschlafen. Packen und Abschalten der SUKULTUR-E-Mails auf meinem Rechner. Eine Woche lang bekomme ich keine E-Mails mehr an meine sukultur-Adresse – wahrscheinlich zum allerersten Mal. Um 9 Uhr 40 am Flughafen. Schnelles Einchecken, danach suchen wir eine Bäckerei auf. Um 11 Uhr 40 mit Eurowings nach Rom. Mit knapp zwanzigminütiger Verspätung Abflug. 

degens.rom21 rotated

Auf der Fahrt vom Flughafen Fiumicino staunendes aus dem Fenster starren. Was ist denn das für ein irrer Kuppelbau? Der Petersdom? Nein, nur die Basilika St. Peter und Paul. Je näher wir uns unserer Unterkunft nähern, um so monumentaler werden die Bauten. Die Caracalla-Therme, der Circus Maximus und das Forum Romanum. Kurz vor unserem Ziel kommen wir an dem Piazza Venezia vorbei, mit dem prunkvollen Denkmal für Vittorio Emanuele II, dem ersten König von Italien, ein Monument, das von den Einheimischen laut Google »Schreibmaschine« genannt wird.

degens.rom50 rotated

Anschließend passieren wir die Buchhandlung Feltrinelli und ich denke an die Tagebücher von Raddatz und die dort erwähnte Inge Feltrinelli, eine gebürtige Essenerin, die 1960 den Verleger Giangiacomo Feltrinelli heiratete.

Wikipedia: »Die Ehe zerbrach aufgrund der kommunistischen Aktivitäten Feltrinellis Ende der 1960er Jahre, und sie ließen sich scheiden. Ab 1969 war sie Vizepräsidentin des Verlags Feltrinelli und führte nach dem Tod Giangiacomo Feltrinellis, der 1972 unter ungeklärten Umständen ums Leben kam, die Geschäfte allein weiter. Nach eigener Aussage war es auch im Italien der 1960er Jahre schwer, Chefin zu sein, da Frauen vor allem für ›Kinder, Küche und Kirche‹ zuständig waren. Sie habe sich außerdem gegen Ressentiments den Deutschen gegenüber durchsetzen müssen. Nach dem Tod ihres Mannes habe sie, um auf die Markttendenz zu reagieren, das Programm geändert und weniger politische Titel verlegt. Sie brachte neben politisch engagierter Literatur nun auch Bücher zu Mode und Lifestyle sowie Tonträger, Kochbücher und E-Books heraus und sicherte so das wirtschaftliche Überleben des Verlags im Wandel der Zeitläufte. Sie baute in Italien eine Buchhandelskette auf, deren Filialen sich durch kleine Cafés und Leseecken auszeichneten und bald in etwa 100 Städten vertreten war.«

degens.rom22 rotated

Nach wenigen Metern halten wir in der Via dell’Arco della Ciambella im Stadtviertel Pigna, unserem Ziel. Erwartet werden wir von Alberto, der uns unser Apartment zeigt, dass in einem früheren Franziskanerkloster untergebracht ist. Die Räume und die Terrasse gefallen uns sehr gut. 

Nachdem wir Alberto bezahlt haben, packen wir rasch aus und suchen einen Ort zum Essen. Wir schlendern durch die Nebenstraßen am Pantheon vorbei, laufen durch einige hübsche, aber viel befahrene Gassen und folgen schließlich einer Internetempfehlung und essen in einem schlichten, aber gemütlichen Restaurant das »Touristenmenü« für 18 Euro: 4 Gänge inklusive Vor- und Nachspeise. Dazu Wein. 

degens.rom23 rotated

Anschließend schlendern wir zum Largo di Torre Argentina, eine Ausgrabungsstätte mit vier Tempeln aus der Zeit der Römischen Republik, die heute eine Katzenkolonie beherbergt.

Der Platz befindet sich einige Meter unter dem Straßenniveau, umfasst vier Tempel, ist von Zäunen umringt und von allen vier Seiten einsehbar. Tatsächlich sehen wir in den antiken Tempelanlagen einige Katzen in der Dunkelheit herumstreunern. Es ist ein surreales Bild: die gemauerten Ruinen, die Säulenreste, die puschelige Katze ohne Schwanz, die sich durch die Trümmer bewegt, die Pinienbäume mit den hohen, schlanken Stämmen und den breiten, dichten Kronen, die tagsüber so angenehm Schatten spenden, all dies umflossen von den wahnsinnigen und rücksichtslosen Verkehrsteilnehmern inmitten einer Hauptverkehrsader von Rom. Angeblich wurde hier Julius Cäsar ermordet. Eine Pinie markiert die Stelle. 

degens.rom24 rotated

-> weiterlesen

eigen2

EIGEN 2


»Ausgedruckter Blog« (132 Seiten) – kostenloses Magazin auf Yumpu

Inhalt:

Der Unschuldige-Augen-Test

Hugo Ball (Halloween 2020)

Aladin El-Mafaalani hat recht

Zwischenbilanz – der elendigen Büchersammelei, namentlich der Bibliothek Suhrkamp

Subito

Making of Fuckin Sushi

Aus dem Handbuch für Immobilienmakler und Immobilienberater – Beispiele für die Behandlung vermeintlicher Nachteile in Immobilienanzeigen

Halt die Schnauze und sei glücklich

Anders Bonnesen: Watch your language

I FEEL FINE

I FEEL FINE – BONUS

Die Stickereien der Königin

»Es ist in Dänemark allgemein bekannt, dass Königin Margrethe II. innerhalb mehrerer Genres künstlerisch aktiv ist: Malerei, Decoupage, Bühnenbildkunst und Stickerei, die man in dänischen Kirchen auf Bischofsgewändern und Altardecken bewundern kann. Doch nur wenige wissen, dass der enorme Schaffensdrang der Königin auch zu einer Vielzahl privater Stickereiarbeiten geführt hat. Die Königin entwirft selbst die Muster und Farbkompositionen für ihre Stickereien, bei denen es sich u. a. um Geschenke an Familie, Freunde oder Angestellte am Hof oder um Dekorationen in ihrem eigenen Zuhause handelt – von Kissen über Ofenschirme bis hin zu Tischdecken, Stuhlbezügen und Smartphonehüllen. Die privaten Geschenke wurden mit der gleichen Sorgfalt angefertigt wie die öffentlichen Werke für die Kirchen. Die Königin entfaltet ihre ganze Kreativität in der Farbwahl und entwirft die Muster mit persönlichen Symbolen und Bezügen auf die Beschenkten.«

g.firmin B5V0YognKgc B5V0YlKHCes

Halt die Schnauze und sei glücklich

                                   für Leo

Ich habe selten

so gut beschriebene Texte gelesen,

hat Andreas Reiffer in S.U.B.H. #10

über meinen ersten Gedichtband

Farben und Formen

geschrieben.

Das war 1993 oder 1994.

Na gut, schrieb Andreas Reiffer weiter,

an Brautigan kommen sie nicht ran,

aber eine gewisse Verwandtschaft

fällt doch auf.

Ich hatte noch keine Zeile

von Richard Brautigan gelesen,

trotzdem freute ich mich über das Lob,

auch wenn es mich irritierte

und ich auf Brautigan

und seine Texte

insgeheim

ein Stück weit

eifersüchtig war.

Kurz danach hörte ich auf,

Gedichte zu schreiben.

Ich glaubte an Entwicklungsstufen

beim Schreiben.

Man fängt an mit Gedichten,

um ein Gefühl für die Sprache

zu entwickeln.

Man macht weiter mit Theaterstücken

und lernt das Schreiben

von Dialogen.

Zum Schluss kommt die Prosa,

die alles vereint.

Zwei oder drei Jahre später

kaufte ich mir

ein Büchlein von Richard Brautigan.

Wir lernen uns kennen,

Stories.

Es kostete zwei Mark

und war in der Jubiläumsreihe

50 Jahre Rowohlt Rotations Romane

erschienen.

Leute,

die Brautigan gelesen haben,

haben so ein seltsames Lächeln auf dem Gesicht,

stand ein Zitat

aus dem Rolling Stone

auf dem Umschlag.

Doch die Geschichten

in dem Büchlein

hatten mich nicht beeindruckt

und mir kein Lächeln

ins Gesicht

gezaubert.

Im November 2019

like ich

zwei Fotos von Marius Goldhorn

auf Instagram.

Das erste Bild zeigt ihn

und Leonhard Hieronymi,

die auf zwei Stühlen

auf einem Holzbalkon sitzen.

In der Mitte ein Tisch

mit einem Buch,

dahinter das Tal,

die Bäume,

die Klippen,

die grünen Hügel mit die einzelnen Häusern,

die Küste,

der Ozean

und das warme goldene Licht.

Das zweite Foto zeigt die Tischplatte,

einen türkisfarbenen Metallmond

mit Kratern

und abgeplatztem Lack,

jetzt ohne Buch,

dafür mit einem Loch in der Mitte

für den Sonnenschirm,

und einer Schuhspitze

am unteren Bildrand.

Die Unterschrift des Posts lautet

Richard Brautigans Balkon.

Am nächsten Tag schreibe ich

Leonhard Hieronymi

aus dem IC 2310

nach Hamburg

und erwähne im P.S. auch

Richard Brautigans Balkon.

Lieber Marc,

antwortet mir Leonhard Hieronymi

Stunden später

aus Kalifornien,

wir lieben Richard Brautigan sehr,

er braucht angemessene

und neue Übersetzungen

ins Deutsche,

vielleicht wagen wir uns alle mal

im Kollektiv ran!

Ich schreibe zurück,

dass ich Richard Brautigan auch mag,

allerdings viel zu wenig von ihm kenne,

aber das Erinnerungsbuch

You Can’t Catch Death

seiner Tochter Ianthe Brautigan

empfehlen kann,

das ich auf der

Road-to-Twin-Peaks-Tour

gelesen hatte.

Memories

drift to the ground

like snow.

Vierzehn Tage später

kaufe ich

für zwei Euro

bei text+töne

das rororo-Taschenbuch

Die Pille

gegen das Grubenunglück

von Springhill

& 104 andere Gedichte

von Richard Brautigan

ausgewählt und übertragen

von Günter Ohnemus

mit einem typisch schrill-naiven

achtziger Jahre Cover

von Hendrik Dorgathen.

Das

gegen

auf der Titelseite

ist mit * markiert.

Ich zitiere:

* (Das

gegen

im Titel dieses Buches

ist eine unkorrekte Übersetzung des

versus

in der Originalfassung,

die dem Übersetzer

merkwürdigerweise

erst sehr spät

aufgefallen ist.

Zu spät,

denn er mag den Titel inzwischen so gern,

dass er sich außerstande sieht,

ihn noch zu ändern –

ganz im Sinne

von Richard Brautigans Gedicht

DER AMELIA EARHART PFANNKUCHEN

Ich kann einfach kein Gedicht finden

für diesen Titel.

Ich habe jahrelang nach einem gesucht,

und jetzt geb‘ ich auf.)

Begeistert lese ich in dem Buch

und stelle nach fünfundzwanzig

oder sechsundzwanzig Jahren fest,

dass ich ein Beatnik bin.

S.U.B.H. ist übrigens die Abkürzung für

shut up – be happy!

Frei übersetzt:

Halt die Schnauze und sei glücklich.

Ich benutze Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessern. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.